„Ich will aber einfach bleiben“
Zum
75. Geburtstag von Eva Strittmatter am 08.02.2005
Sie gehört wohl zu den meistgelesenen und
populärsten Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts
im deutschsprachigen Raum: Eva Strittmatter, die
in diesen Tagen ihren 75. Geburtstag begeht. Mit
ihren gefühlsbetonten Gedichten, die in der
Tradition der Volksdichtung stehen, erreicht sie
seit Jahrzehnten ihre Leser. Lange Zeit schrieb
sie Gedichte, von denen niemand etwas wusste,
selbst ihr Mann Erwin Strittmatter nicht. Erst
1966 veröffentlichte die Literaturzeitschrift
"Neue Deutsche Literatur" (NDL) ihre
ersten Gedichte.
Eva Strittmatter (geb. Braun) wird am 8. Februar 1930 in Neuruppin geboren. Schon früh muss sie das Leid und die Wirren des Krieges erleben. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende geht, ist sie gerade 15 Jahre alt. 1947 legt sie das Abitur ab und beginnt an der Berliner Universität mit dem Germanistikstudium. 1950, Eva ist gerade 20 Jahre alt, heiratet sie ihren ersten Mann. Damals noch mit elterlicher Zustimmung, denn Eheschließungen dürfen erst mit 21 Jahren vorgenommen werden. Die Ehe wird jedoch bald geschieden. Ab 1951, nach dem Abschluss ihres Studiums, arbeitet Eva Strittmatter freiberuflich beim Deutschen Schriftstellerverband der DDR als Lektorin. Sie schreibt Gutachten, sichtet Manuskripte von jungen Autoren und veröffentlicht literaturkritische Beiträge in Zeitschriften. Hier lernt sie auch ihren zweiten Mann, Erwin Strittmatter, kennen. Es ist die dritte Ehe des bekannten Romanciers, aus der drei Söhne hervorgehen.
1953-54 ist sie dann beim Kinderbuchverlag der
DDR als Lektorin tätig, außerdem wird
sie Mitglied des Redaktionsbeirates der NDL, für
die sie später auch als Redakteurin arbeitet.
Seit 1954 ist sie freie Schriftstellerin. Zunächst
veröffentlicht sie Kritiken, Kinderbücher
und Prosa. Dann 1966 die ersten sieben Gedichte
in der NDL, die ihr Mut machen zum Weiterschreiben.
Sieben Jahre später erscheint ihr erster
Gedichtband Ich mache ein Lied aus Stille.
Im Nachwort schreibt Hermann Kant: "Wir haben
die Gedichte nötig."
Die Resonanz dieser feinnervigen Gedichte ist
bei den Lesern von Anfang an riesig. Auch ihre
nächsten Lyrikbände Mondschein liegt
über den Wiesen (1975), Die Rose
überwältigt alles (1977), Zwiegespräche
(1980), Beweis des Glücks (1983),
Heliotrop (1983) und Atem (1988)
werden zur sprichwörtlichen Bückware.
Mit dem Erscheinen eigener Gedichtbände wächst
ihr Selbstbewusstsein an der Seite des bekannten
Schriftstellers, entwickeln sich rasch Verbindungen
zu Lesern, Kollegen und bildenden Künstlern,
zu Freunden im In- und Ausland. Leser äußern
sich mitunter sogar über die Wirkung von
Gedichtzeilen, Unbekannte offenbaren ihr Schicksal,
hoffend auf Antwort und Zuspruch.
Seit
1954 lebt die Familie Strittmatter auf dem "Schulzenhof"
in Dollgow/Gransee (Brandenburg). Hier leben sie
mit zahlreichen Tieren recht zurückgezogen
zwischen Rheinsberg und dem Stechlinsee. Erwin
Strittmatter hatte das Anwesen vom Preisgeld seines
ersten Nationalpreises für das Stück
Katzengraben gekauft. Im Auftrag des
DDR-Schriftstellerverbandes unternehmen sie jedoch
zahlreiche ausgedehnte Reisen in die UdSSR, die
Slowakei und nach Jugoslawien. Als Eva und Erwin
Strittmatter aus der Großstadt auf das märkische
Vorwerk ziehen, war da auch der starke Wunsch,
sich wieder einzugliedern in den natürlichen
Ablauf der Jahreszeiten, teilzuhaben an den Ver-wandlungen
der Natur. In drei Bänden Briefe aus
Schulzenhof hat Eva Strittmatter Einblicke
in die gemeinsame Lebens- und Schreibwelt "Schulzenhof"
gegeben.
Doch
im Herbst 1992 hört Eva Strittmatter nach
über dreißig Jahren auf, Briefe zu
schreiben. "Das Leben machte mich sprachlos,
ich erstarrte in Furcht dessen, was ich erleben
sollte - in nur neun Monaten starben drei der
mir nächsten Menschen: meine Mutter, Sohn
Matti, Erwin Strittmatter." Der Schulzenhof,
bislang eine Insel der Poesie und Pferde, ist
jetzt eine Stätte von schweren Schicksalsschlägen,
doch sie übersteht die Lebenskrise. Neue
innere Kraft lässt sie neue Gedichte schreiben,
die vor allem vom Aufbau-Verlag herausgegeben
werden: Der Schöne (1997), Liebe
und Hass (2000), Die geheimen Gedichte
(2000) und Hundert Gedichte (2001). Und
ihre treue Leserschaft stellt mit Erstaunen fest,
ihre Verse haben ihre sprachliche Klarheit und
Tiefe behalten. Diese naturverbundenen und bildhaften
Gedichte sprechen wie ehedem von den Lebenswünschen
der Autorin, vom Alltag, von ihren Ängsten
und Zweifeln, von Hoffnungen und der Neugier auf
das Leben.
In Westdeutschland ist Eva Strittmatter auch nach der deutschen Wiedervereinigung weitgehend unbekannt geblieben, selbst in manchem Lexikon fehlt ihr Name. Die Literaturgeschichte wird es richten und korrigieren. Ihre ostdeutschen Leser fühlen sich jedoch von ihrer genauen und unbestechlichen Beobachtungsgabe unmittelbar angezogen, dabei ist der Klang der Worte von einfacher Schönheit. Die Verse bedürfen keiner Erklärungen, wie sie selbst einmal in ihrem Gedicht "Vom Schreiben" darlegte.
Natürlich könnte ich
Auch komplizierter schreiben
...
Ich will aber einfach bleiben
Und nah am alltäglichen Wort
Und will so deutlich schreiben,
Dass die Leute an meinem Ort
Meine Gedichte lesen
Und meine Gedanken verstehn
Und sagen: so ist es gewesen,
Und das haben auch wir schon gesehn.
(©
2005 Manfred Orlick für all-around-new-books.de)
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